Die „Hausmütterchen“ trumpfen auf
Wir schreiben das Jahr 1955, als Elli Friedrichs, Irmgard Güldner und Luise Sandmann es leid sind, jeden Dienstagabend auf ihre Männer zu warten, bis die vom Übungsschießen „mit anschließendem Umtrunk“ nach Hause kommen . Sie beschließen, in die Männerdomäne „Schützenverein“ einzubrechen und ihre Gatten vor vollendete Tatsachen zu stellen. Heimlich nähen sie sich mit zwei weiteren „Leidensgenossinnen“ eine Uniform, die der der Männer angepasst war: graue Uniformjacke mit grünem Kragen.
Beim Schützenfest haben die nunmehr fünf Damen ihren großen Auftritt. Sie beziehen Stellung auf der Treppe des Gasthauses Heise (heute Restaurant „Ikaros“) und erwarten den Festumzug, der sich vom Festplatz in der Alten Aue her nähert. Von ihrem erhöhten Standort haben sie nicht nur einen guten Blick über die vielen Schaulustigen an der Heise-Kreuzung und auf den sich nahenden Festzug, sondern können auch gut gesehen werden.
Als die letterschen Schützen die fünf schmucken Damen erblicken, sind sie wohl erst fassungslos (was hinterher keiner zugeben wollte) und danach begeistert. Der Gedanke an die Gründung einer Damenabteilung nistet sich in der Folge langsam, aber stetig in das Hirn zahlreicher Schützen ein und so wird in der darauf folgenden Jahresversammlung ein entsprechender Beschluss gefasst: trotz der Bedenken einiger Schützenbrüder, hier könnte „eine Kaffeeklatschrunde“ entstehen.
Wohl um die Übersicht nicht ganz zu verlieren, wählt die „männerdominierte“ Versammlung mit Karl-Heinz Friedrichs einen Mann als erste Damenleiterin. Und der nimmt seine Aufgabe ernst, so dass die schießsportliche Ausbildung der Damen und das intensive Training bald erste Früchte zeigen. So wird Ingrid Güldner (heute heißt sie Harmsen) 1961 Dritte beim Bundesschießen in München. Auf Kreisebene müssen die letterschen Damen noch einige Zeit „auf Gegner“ warten, denn in vielen Schützenvereinen kommt es erst später zur Gründung von Damenabteilungen.
Aber auch die Emanzipation der letterschen Damen geht nur schrittweise voran. In den ersten Jahren wird nur der Titel einer Damenbesten vergeben, der 1959 in „Damenkönigin“ umgewandelt wird, als Irmgard Güldner die entsprechende Königskette stiftet. Jahrelang wird die Ehrung der Königin noch beim Schützenkönig vorgenommen, statt einer Königsscheibe gibt es einen Zinnteller oder eine kleine Intarsienscheibe.
Erst 1981 holen die Schützen erstmals die damalige Schützenkönigin Renate Bremer von zu Hause ab, ein Jahr später erhält Sabine Huke als erste Damenmajestät eine hölzerne Schützenscheibe für den Hausgiebel. 1984, zum 150-jährigen Bestehen der Schützengesellschaft Letter, können sich die Damen über eine eigene Standarte freuen, wobei der Fahnenträger bis heute ein Mann ist: Emanzipation hat halt seine Grenzen.
Der stetige Aufschwung der Damenabteilung konnte sich sehen lassen. Aus den fünf Gründungsmitgliedern waren nach 25 Jahren 25 Damen geworden, heute zählt die Damenabteilung 72 Mitglieder. Und kein Mann möchte die holde Weiblichkeit mehr missen, die bei den vereinsinternen Preisschießen mit flinken Händen die Preise ansehnlich verpackt, mit Veranstaltungen wie dem Valentinsschießen auch die Männer erfreut oder – und vor allem – auch vor den Scheiben mit außerordentlichen Leistungen glänzt. Ihre vielfältigen Talente zeigen die letterschen Schützendamen auch bei den gesellschaftlichen Ereignissen: ob beim Managen des Kindernachmittages am Schützenfest-Montag oder als knackige „Can Can-Girls“ beim Schützenball. Den fünf Damen im grauen Schützenrock sei gedankt für ihren damaligen Mut, die Männer vor vollendete Tatsachen zu stellen.